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Auch Flaschenkinder wachsen und gedeihen

Für einige Frauen kann es gute Gründe (medizinische oder persönliche) geben, ihr Baby mit der Flasche zu ernähren. Bei der Entscheidung gegen das Stillen aus persönlichen Gründen sehen sie sich allerdings oft massiven Belehrungen seitens des Klinikpersonals oder der Angehörigen ausgesetzt.

Flaschenkinder

Wenn sich die Mutter beim Flaschegeben Zeit nimmt, ihr Kind ganz nah an den Körper legt und es dabei anschaut, ist ebenfalls ein inniger Kontakt zwischen beiden gewährleistet.

Auch in einigen Ratgeberbüchern werden stillunwillige Frauen mit allgemeiner Verachtung gestraft (Tenor: denn jede moderne, aufgeklärte Frau weiß doch heutzutage, was sie ihrem Kind damit vorenthält) und mit Schuldgefühlen beladen (unterstellt werden: gestörtes Körperbewusstsein, Verdrängung unbewusster sexueller Ängste und so weiter). Ähnlich dem Stilltabu in den sechziger Jahren werden Frauen heute vielfach mit einem Flaschentabu belegt. Ihnen wird vorgeworfen, ihren eigenen Wurzeln, ihrer Natürlichkeit und Bestimmung gegenüber fremd geworden zu sein. Diese Betrachtungsweise führt aber nur dazu, dass sich die betroffenen Frauen schuldig fühlen. Darüber hinaus nimmt sie Frauen mit Stillproblemen die Chance, eine mögliche innere Abwehr oder tief sitzende Ängste zu überwinden. Frauen, die beispielsweise schon wenige Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten und deshalb nicht stillen, werden gar in die Kategorie „karrieresüchtig und egoistisch“ und damit auch die Schublade „Rabenmutter“ eingeordnet.

Das Wichtigste aber bei der Entscheidung, das Kind nicht zu stillen, ist, dass sich Frauen über ihre Gründe Klarheit verschaffen, damit sie dazu stehen können. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, sich über vorhandene Vorbehalte mit einer erfahrenen Mutter oder Hebamme zu unterhalten. Auf diese Weise können einmal getroffene Entscheidungen überdacht werden.

Warum ist mein Kind ein Flaschenkind?

Was immer die Gründe sind, die Mütter aus persönlichen Erwägungen vom Stillen abhalten: Die grundsätzliche Wahlmöglichkeit „Flasche oder Brust“ muss gewährleistet bleiben. Denn eine Mutter, die mit Widerwillen stillt oder dazu überredet wurde, reagiert darauf ziemlich sicher mit Problemen körperlicher und/oder seelischer Natur. Und das Kind spürt dies, es weint vermutlich sehr oft und ist unzufrieden. Selbst auferlegte Zwänge führen unweigerlich zu inneren Konflikten. Sie sind beim Stillen genauso fehl am Platz wie die Überredungskünste wohl meinender, aber doch wenig einfühlsamer Stillfetischisten.

Vater gibt Baby die Flasche

Wird das Kind mit der Flasche ernährt, kann auch der Vater regelmäßig das Füttern übernehmen

Ganz gleich, aus welchen Gründen sich Mütter für die zweitbeste Ernährungsweise ihres Kindes entscheiden (müssen): auch Flaschenkinder wachsen und gedeihen. Allerdings sollten Eltern im Hinblick auf Rückstände und chemische Zusätze in den Fertignahrungsprodukten folgendes wissen: Ähnlich wie bei der Muttermilch haben sich Institute in letzter Zeit auch mit der Untersuchung von Schadstoffen in Fertigmilchnahrungen beschäftigt. Dabei wurde heraus gefunden, dass keineswegs jedes Fertigmilchprodukt hygienisch so einwandfrei war, wie man sich das gemeinhin wünscht. Aus der Zeitschrift ÖKO-Test konnte man unter anderem erfahren, dass beispielsweise in einigen Produkten Keime, Pestizidrückstände und Schwermetalle nachgewiesen konnten.

Medizinische Gründe, die gegen das Stillen sprechen

Leidet die Mutter an einer schweren Infektionskrankheit wie Scharlach, Typhus oder Diphtherie, oder hat sie ein Herz-, Nieren-, oder Leberleiden, muss sie auf das Stillen verzichten.Auch ein schlechter gesundheitlicher Allgemeinzustand der Mutter (zum Beispiel auf Grund einer Blutkrankheit, durch Diabetes, krebs oder starke körperliche Mangelerscheinungen) spricht gegen das Stillen. Auch Babys, die unter Infektionen der Atemwege leiden oder eine Hasenscharte, Wolfsrachen, Kiefer-, Lippen- oder Gaumenspalte haben, können meistens nicht gestillt werden. In diesen Fällen kann man die Milch mit einer Magensonde verabreichten. Auch früh geborene Babys kommen anfangs nur über eine Magensonde in den Genuss der Muttermilch.

Persönliche Gründe als mögliches Stillhindernis

Alle Menschen machen sich bewusst oder unbewusst bestimmte Bilder (Vorstellungen, Pläne) von ihrem Leben. Das gro0e Lebensbild setzt sich aus verschiedenen kleinen Bildern zusammen, die für bestimmte Lebensbereiche stehen. Diese Mosaiksteinen unterscheiden sich von Mensch zu Mensch, denn jedes trägt den individuellen Stempel der jeweiligen Person. Die Struktur wird im Laufe des Lebens immer wieder neu geordnet und in ihren Ausprägungen anders geformt. Persönliche Entwicklung, Erfahrungen und Lernprozesse sind beispielsweise einige dieser formenden Faktoren. Es gibt allerdings bestimmte Situationen, die zum eigenen Lebensbild, das man gewählt hat, nicht zu passen scheinen. Für Mütter kann dies beispielsweise das Stillen sein, denn es berührt und ändert- ähnlich wie die Geburt – sehr viele ihrer Lebensbilder:

Das Berufsbild: Viele Frauen sehen im Muttersein nicht ihre einzige Berufung. Sie wollen ihre gewohnten Tätigkeiten auch nach der Geburt ihres Kindes ausüben. Deshalb entscheiden sich viele Frauen für eine Stillzeit von nur vier bis sechs Wochen, oder sie fangen erst gar nicht damit an.

Das Selbstbild: Auch mit Kind wollen sich viele Frauen ein relatives Maß an Freiheit bewahren und nicht nur von der Nahrungsaufnahme ihres Kindes beherrscht werden. Für sie bedeutet Stillen an Haus und Hof gebunden zu sein, was sie als persönliche Einschränkung erleben. Wird das Kind hingegen mit der Flasche gefüttert, kann auch der Vater zeitweise für die Ernährung seines Nachwuchses sorgen.

Die neunmonatige Enthaltsamkeit (in Bezug auf Essen, Trinken, Rauchen und so weiter) kann ebenfalls ein Grund dafür sein, dass Frauen nach der Geburt nur kurz oder gar nicht stillen. Denn in der Stillzeit sind alle Genussmittel wie Alkohol und Zigaretten weiterhin tabu.

Das Körperbild: Die großen körperlichen Veränderungen während der Schwangerschaft haben vielen Frauen schon Ängste bereitet („Werde ich wieder so aussehen wie vorher?“). Durch das Stillen hält ein Teil der Veränderungen im Körper der Frau an: Die Brüste sind prall gefüllt, oft überdimensional groß wie druck- und schmerzempfindlich. Viele Frauen wollen sich das nach der Geburt nicht weiterhin antun und beenden das Stillen schon nach kurzer Zeit oder beginnen erst gar nicht damit. Die Aussicht, dass ihre Brust nach der Stillperiode keineswegs wieder so aussehen wird wie vorher, hält außerdem viele Frauen vom Stillen ab.

Manchmal haben auch die Erfahrungen der eigenen Mutter, die bei all ihren Stillversuchen schmerzhafte Brustentzündungen davon trug und wochenlang ans Bett gefesselt war, viele Töchter so viel Angst und Schrecken eingejagt, dass sie das Stillen erst gar nicht ausprobieren wollen.

Schließlich können die eigenen Körperempfindungen während des Stillens Gründe für das vorzeitige Abstillen sein. Hat die Frau zum Beispiel mit ihrer Sexualität, wird sie das Saugen ihres Kindes als unangenehmes, unannehmbares Körpergefühl erleben.

Das Mutterbild: Hohe Ansprüche und verklärte Vorstellungen von der perfekten, zufriedenen im Schaukelstuhl stillenden Mutter zerbrechen oft in tausend Scherben, wenn gerade am Anfang Probleme beim Stillen auftreten. Nichts scheint auf Anhieb zu gelingen, die Brüste schmerzen, das Kind schreit, die Mutter ist entnervt. Steht ihr in dieser Situation keine erfahrene Hebamme oder Säuglingsschwester mit Rat und Tat zur Seite, fühlt sich die verunsicherte Mutter als Versagerin. Im Extremfall bricht sie ihre Stillversuche ab. Zurück bleibt eine aus negativen Gefühlen bestehende Erfahrung.

Das Beziehungsbild: So manche Ehe oder Beziehung leidet darunter, dass die Frau stillt. Durch die uneingeschränkte Zuwendung und intensive Körperlichkeit, die sie ihrem Kind beim Stillen entgegenbringt, fühlen sich manche Männer vernachlässigt. Manche reagieren mit offen ausgesprochener, andere mit gut getarnter Eifersucht. Ständige Streitereien und unterschwellige Vorwürfe aber veranlassen viele Frauen dazu, mit dem Liebesakt Stillen vorzeitig aufzuhören, um die gefühlsmäßige Entfremdung von ihrem Partner nicht weiter voranzutreiben.

Auch das Sexualleben leidet häufig während der Stillzeit, da viele Frauen auf Grund ihrer druck- und schmerzempfindlichen Brüste überhaupt keine sexuellen Gefühle entwickeln können. Und viele Männer sind nicht bereit, auf die körperliche (und seelische) Empfindsamkeit ihrer Frau Rücksicht zu nehmen. Um diese Einschränkungen und Konflikte möglichst schnell wieder aufzuheben, entschließen sich sicherlich viele stillende Mütter früher als beabsichtigt damit aufzuhören.

Natürlich kann man die einzelnen lebensbereiche und Vorstellungsbilder nicht immer voneinander trennen und isoliert betrachten. Meistens vermischen sie sich, gehen nahtlos ineinander über und prägen so die Vielschichtigkeit der Argument, die aus fraulicher sicht gegen das Stillen sprechen. Darüber hinaus gibt es auch noch zahlreiche psychosomatische (seelisch-körperliche) Gründe, die zu Stillproblemen führen und die Milch nicht mehr oder nur unzureichend fließen lassen.