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Das heikle Thema Erziehung

Im Laufe gesellschaftlicher Wandlungsprozesse haben sich auch unsere Vorstellungen von Erziehung geändert, was auch die beiden folgenden Zitate belegen:

„Hat man sich überzeugt, dass kein richtiges Bedürfnis, kein lästiger oder schmerzhafter Zustand, kein Kranksein vorhanden ist, so kann man sicher sein dass das Schreien eben nur der Ausdruck einer Laune, einer Grille, das erste Auftauchen des Eigensinns ist. Man darf sich jetzt nicht mehr abwartend dabei verhalten, sondern muss schon in etwas positiverer Weise entgegentreten: Durch …. ernste Worte, drohende Gebärden, Klopfen ans Bett….., oder wenn dies alles nichts hilft – durch beharrlich wiederholte körperlich fühlbare Ermahnungen …. „ (Dr. Schrebers Ratschläge für Erzieher aus dem Jahre 1858.)

Was bedeutet auf Erziehung zu verzichten?

„Im Wort Erziehung liegt die Vorstellung bestimmter Ziele, die der Zögling erreichen soll – und damit wird schon seine Entfaltungsmöglichkeit beeinträchtigt. Aber der ehrliche Verzicht auf jede Manipulation und auf diese Zielvorstellungen bedeutet nicht, dass man das Kind sich selbst überlässt. Denn das Kind braucht die seelische und körperliche Begleitung des erwachsenen in einem sehr hohen Maß.

Um dem Kind seine volle Entfaltung zu ermöglichen, muss die Erziehung folgende Züge aufweisen:

  • Achtung vor dem Kind
  • Respekt für seine Rechte
  • Toleranz für seine Gefühle
  • Bereitschaft, aus seinem Verhalten zu lernen „

(Alice Miller „Am Anfang war Erziehung“ aus dem Jahre 1983)

Bücher zur Kinder Erziehung

Zwischen diesen beiden Auffassungen liegen Welten: Mit Züchtigungsmaßnahmen wurde in früheren Zeiten versucht, schon den Willen des Kleinkindes „zu brechen“. Nach heutigen Maßstäben ist diese Vorgehensweise abzulehnen und eher ein trauriges Kapitel der Pädagogik.

Unsere heutigen Vorstellungen von Erziehung gehen zwar teilweise auseinander, sie sind jedoch weitaus toleranter und von einer größeren Offenheit dem Kind gegenüber geprägt. Die wichtigste Vertreterin dieser Richtung ist die Psychoanalytikerin Alice Miller. In ihrem inzwischen berühmt gewordenen Buch „Am Anfang war Erziehung“ plädiert sie für einen Umgangsstil, bei dem die Psyche eines Kindes sowie die Achtung der kindlichen Bedürfnisse im Vordergrund stehen.

Was genau ist Erziehung?

Trotz moderner Pädagogik und allgemeinen Umdenkens sind viele Eltern aber nach wie vor verunsichert, wenn sie an die Erziehung ihres Kindes denken. Denn gerade im Alltag scheint nicht immer alles so reibungslos zu klappen, wie es Büchern und Informationsschriften theoretisch gefordert wird. Natürlich weiß inzwischen jeder, dass die autoritäre Erziehung des bedingungslosen Gehorsams und der gewaltsamen Bestrafung ausgedient hat – viele Eltern wurden aber oftmals selbst noch ähnlichen Prinzipien erzogen. Auf der anderen Seite hat das Modell der antiautoritärer Erziehung große Verunsicherung verbreitet, da darin alles erzieherischen Maßnahmen in Frage gestellt und abgelehnt wurden.

Kinder brauchen Freiheit, aber auch Begleitung bei der Erziehung

Kinder mit Spielsachen

Auch die Spielsachen beeinflussen die Entwicklung und gehören zur Erziehung

Tatsache ist, dass Entwicklung und Erziehung eines Kindes untrennbar miteinander verbunden sind. Denn gerade in den ersten beiden Lebensjahren entwickeln Kinder ja nicht nur ihre körperlichen Fähigkeiten, sondern auch ihre Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeitsentwicklung kann gefördert, aber auch behindert werden. So wie man beispielsweise einem Baby beim Laufen lernen hilft, lassen sich auch die Schritte zur Ich-Entwicklung unterstützend begleiten. Doch manchmal kommen dabei, mehr noch als die kindlichen Bedürfnisse, die eigenen elterlichen Vorstellungen und Wünsche zum Tragen. Und kein Thema ist bei Müttergesprächen so heikel wie die „richtige“, da beste Erziehung. Mütter sind auch heute noch die Erziehungspersonen Nummer eins.

Selbst wenn auch der Vater einen Teil der Verantwortung übernimmt, bleibt immer noch die bange Frage, wie viel Erziehung und mit welchen Mitteln? Bei vielen Eltern spielt bei Beantwortung dieser Frage – wie bereits erwähnt – die eigene Erziehung eine sehr große Rolle: Sie greifen entweder auf (unbewusste) Muster ihrer selbst durchlebten Erziehung zurück, oder sie bemühen sich, pädagogische Fehler aus früheren Zeiten keinesfalls zu wiederholen. Viele Ratgeberbücher halten zudem für die optimale Entwicklung der Kinder eine große Auswahl an steuernden, richtungsweisenden Maßnahmen bereit – doch dazu sollten Eltern folgendes wissen: Für die Erziehung gibt es weder Erfolgsrezepte noch Patentlösungen. Auch wenn die Wesensmerkmale noch nicht voll ausgeprägt sind, ist doch jedes Kind verschieden, keines gleicht dem anderen. Von daher kann es keine erzieherischen Wundermittel geben, die in allen Lebenslagen wirken. Diese Erkenntnis setzt allerdings von Seiten der Eltern ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Toleranz voraus, denn sie müssen ihr Kind erstmal kennen- und verstehen lernen. Durch Einfühlungsvermögen entsteht ein Erziehungsklima, das auf die kindliche Persönlichkeit gebührend Rücksicht nehmen kann. Auf diese Weise wird Erziehung nicht zur Einbahnstrasse, denn auch Eltern können sehr viel von ihren Kindern lernen.

Erziehung – ab wann und wie?

Um möglichst wenig falsch zu machen, fragen sich viele Eltern, was ihr Kind im ersten Lebensjahr schon alles lernen muss, und wie man ihm die entsprechenden Fähigkeiten am besten beibringen kann: Soll es beispielsweise schon lernen, nachts durchzuschlafen, indem man ihm zu nächtlicher Stunde kein Gehör schenkt, wenn es nach der Flasche oder nach der Brust schreit? Und soll es sich tagsüber schon einmal in Geduld üben, da man gerade keine Zeit hat, das Kind auf den Arm zu nehmen und herumzutragen? Selbst die Frage, ob man ein Baby gar bestrafen sollte bewegt die Gemüter vieler Rat suchender Eltern.

Bei der Durchführung frühzeitiger Erziehungs- oder vielmehr „Dressurmaßnahmen“ würde ein Baby aber sicherlich nicht lernen, geduldig oder brav zu sein, es würde vielmehr panische Angst entwickeln. Babys sind nämlich nicht in der Lage, zu erkennen, dass sich irgendetwas nicht gehört, verboten ist oder schlimme Folgen haben könnte. Deshalb sind sämtliche Strafaktionen nicht nur sinnlos, für die kindliche Psyche sind sie zudem schädlich. Ein Säugling würde seine Welt vielmehr als einen unangenehmen, ja feindseligen Lebensraum erleben. Und kein Baby wird gar verwöhnt, wenn man ihm das gibt, was es am allermeisten braucht: Trost, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit.

Für die gesamte Entwicklung eines Kindes gilt daher: Je freundlicher Eltern ihrem Kind begegnen, desto positiver wird sein Lebensgefühl. Indem es geliebt wird, lernt es zu lieben. Hat es diese positive Erfahrung gemacht, kann es sich später leichter in Geduld üben, wenn seine Bedürfnisse nicht sofort befriedigt werden. Denn es weiß, dass die Erwachsenen seine Wünsche beachten und seine Persönlichkeit respektieren. Mit Zwang, Gewalt und Dressur lernt ein Kind im Laufe der Zeit zwar folgsam zu sein, es hat aber bei all seinem Tun Angst vor Liebesentzug und Bestrafung. Was es dabei nicht lernt ist, sich selbst und andere zu achten und bestimmte Spielregeln mit einem hohen Maß an eigener Einsicht zu begreifen.

Erziehung durch Bestrafung ist kein Weg

Erziehung durch Bestrafung oder Missachtung verletzt die kindliche Ich-Entwicklung, denn sie hinterlässt tiefe, seelische Wunden, wie Gefühle der Unzulänglichkeit und des Misstrauens. Das Urvertrauen eines Kindes seinen Bezugspersonen gegenüber wird zutiefst erschüttert, was sich später im Extremfall in irrationalen Lebensängsten äußern kann. Manche Kinder fallen dann durch besonders aggressives oder demütiges Verhalten auf, oder sie haben in späteren Jahren große Probleme, Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen.

Grundsätzlich erreichen Eltern mit einer positiven Einstellung bei ihrem Kind weit mehr, als mit zwanghaften Bestrafungsmaßnahmen. Geduld, Flexibilität, Einfühlungsvermögen und das Überdenken eigener Erziehungserfahrungen sind dafür wichtige Voraussetzungen. Gerade der Rückblick auf längst vergangene Kindertage kann vielen Eltern zu wichtigen pädagogischen Einsichten verhelfen. Auf diese Weise lässt sich beispielsweise einiges von dem, was man selbst als seelische Verletzung, Kränkung oder Bedrohung erlebt hat, bei der Erziehung des eigenen Kindes vermeiden. Doch niemand ist perfekt und manchmal reißt auch dem tolerantesten Elternpaar einmal der Geduldsfaden. Ab einem gewissen Alter können Kinder aber selbst diese Gefühlsreaktionen allmählich verstehen – vorausgesetzt, sie wiederholen sich nicht ständig und das Kind ist geistig in der Lage, ein Verbot mit dem eigenen Handeln in Verbindung zu bringen. Ein zweijähriges Kind etwa, das auf zuvor erklärende Worte nicht reagiert, seine Grenzen ausprobiert und dafür das Schimpfen der Eltern erntet, begreift schon, dass Mama und Papa auch an ihre Toleranzgrenzen gestoßen sind. Hauptsache es erkennt, dass ihm die elterliche Liebe – trotz Wut und Schimpfen – nicht entzogen wird.

Bei der Erziehung die Problemphasen des Kindes beachten

Während der gesamten kindlichen Entwicklung gibt es immer wieder Problemphasen wie das Fremdeln, Trennungsängste, Trotzreaktionen oder Wutausbrüche. Auf seinem Weg zur eigenständigen Persönlichkeit muss ein Kind auch diese, für viele Eltern anstrengende Lebensabschnitte durchlaufen, denn sie formen und bilden seine Wesenszüge ebenso, wie die problemlosen Entwicklungsphasen. Je älter ein Kind wird, desto stärker kämpft es für sein Bestreben nach Unabhängigkeit und Durchsetzung seines Willens. Lassen sich Eltern dabei auf Machtkämpfe ein, lernt das Kind zwar die derzeitige Macht der Eltern fürchten, in seinem Inneren spürt es aber, dass diese letztlich ohne Macht dastehen.

Spielerisch lernen

Spielerisch lernen Kinder am besten, vorhandene Fähigkeiten zu festigen

Wenn die Eltern dagegen einen goldenen Mittelweg zwischen ihren eigenen Ansprüchen und denen ihres Kindes finden, respektiert es zunehmend auch die Grenzen und Wünsche anderer. Dieser Umgangsstil ist sicherlich nicht ganz einfach, dafür aber wirkungsvoll. Denn er lässt dem Kind ein großes Maß an persönlicher Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten.

Erziehung muss immer sein, das Kind braucht einen halt

Für die Erziehung ist noch ein weiterer Punkt wichtig: Kinder lernen in den ersten Jahren vor allem durch Nachahmung. Sie imitieren das Verhalten anderer Kinder und das ihrer Bezugspersonen. Eltern sollten sich dessen bewusst sein, denn bei all ihren Erziehungsbemühungen spielt das eigene Vorbild die größte Rolle. Angestrebte Verhaltensänderungen müssen daher immer erst bei den Erziehenden beginnen.

Zähneputzen Kind

Gerade bei der Sauberkeitserziehung gilt: mit Lob bewirkt man am meisten

Von der Windel zum Töpfchen

Von der Windel zum Töpfchen – die Erziehung zur Sauberkeit

Früher wurden Kinder dazu angehalten, möglichst früh und schnell sauber zu werden. Das lästige Windelwaschen war damals oft der Hauptgrund für die vorzeitige Gewöhnung an das Töpfchen. Heute weiß man dass ein Kleinkind lange braucht, um überhaupt seine Blasen- und Darmfunktion kontrollieren zu können. Ein Kind vor dem Erreichen einer bestimmten Entwicklungsstufe ans Töpfchen gewöhnen zu wollen, führt deshalb unweigerlich zu seelischen und körperlichen Stresssituation: Das Kind ist unglücklich und schämt sich, es fühlt sich schuldig, weil es etwas tun soll, zu dem es noch gar nicht in der Lage ist. Und viele Eltern reagieren mit wachsender Ungeduld, wenn ihr dreijähriger Sprössling nachts oder auch tagsüber noch eine Windel braucht.

Eltern müssen Kinder erziehen

Zum Thema Sauberkeits-Erziehung sollten Eltern grundsätzlich folgendes wissen:

  • Zunächst muss die Muskulatur soweit entwickelt sein, dass Harn und Stuhl gehalten werden können. Dann sind auch die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Ausscheidungsorganen entsprechend ausgereift, so dass der Befehl zum Halten oder Ausscheiden Erfolg hat. Einen genauen Zeitpunkt für das Erreichen dieses Entwicklungsniveaus gibt es nicht. Auch hierbei hat jedes Kind sein eigenes Tempo. Die Aufgabe der Eltern besteht darin, die kindliche Entwicklung zu unterstützen, sie aber nicht beschleunigen zu wollen.
  • Ein Kind sollte selbst entscheiden ob es das Töpfchen (oder die Toilette mit einem speziellen Kinderaufsatz) benutzen will. Eltern sollten ihr Kind nie dazu zwingen.
  • Wirkungsvoll ist, wenn Eltern das Benutzen der Toilette oder des Töpfchens thematisieren. Das heißt, das Kind und ein Elternteil gehen gemeinsam auf die Toilette. Die Eltern erklären dem Kind immer wieder, was sie gerade tun, und dass es selbst auch ein Gefäß zum „Pipimachen“ hat.
  • Wenn Eltern ihre Ausscheidungen als unangenehm und eklig empfinden, wird das Kind diese Auffassung für sich übernehmen. Eine Reaktion darauf kann beispielsweise sein, dass das Kind vor Angst und Scham seine Ausscheidungen zurückhält. Für ein Kind sind urin und Stuhl aber nichts Schlimmes, im Gegenteil, sie kommen aus ihm heraus, und es wird stolz darauf sein – auch hier fängt die Erziehung bei den Eltern an.
  • Ein Kind braucht Lob und freundliche Aufmerksamkeit, wenn es sein „Geschäft“ erledigt hat. Das spornt zu Wiederholungen an.